Frau Mülling:
Geschäftsführerin der Wohlfahrtseinrichtungen

„Ich habe mir immer vorgestellt, dass ich als Krankenschwester einen Arzt heirate und dann Marmelade für zwei Kinder koche… Ich hätte nie gedacht, dass ich als gelernte Krankenschwester mit fast 50 Geschäftsführerin von so einem großen Unternehmen werde. Ich bin stolz auf diese Leistung!“

Manchmal kommt der Karriereschub von außen. Weil Annett Müllings Sohn nicht in die Krippe gehen konnte, musste sie sich eine Alternative zum 3-Schicht-System als Krankenschwester suchen. Sie bewarb sich für eine Stelle im mittleren Management in der Pflege. Bei der Entwicklung eines Leitbildes für die Pflegeeinrichtung fiel sie der Geschäftsführung auf, die sie motivierte zu studieren und im Unternehmen sehr förderte. Von der Krankenschwester zur Geschäftsführerin der Wohlfahrtseinrichtungen der Hansestadt Stralsund gGmbH mit 350 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen: Für Annett Mülling brauchte es dazu Mentoren und Wegbegleiter, die an sie geglaubt haben, die eigene Bereitschaft sich weiterzubilden und den Mut, Chancen zu ergreifen. Im Interview erzählt sie von ihrem Weg.

Sie sind Mentorin im Programm „Aufstieg in Unternehmen“ und waren im letzten Jahr Mentorin an der Hochschule – warum ist Ihnen Mentoring so wichtig?

»Eine Mentorin oder ein Mentor muss nicht immer über ein Programm kommen. Es sind manchmal einfach die Menschen, die das Potenzial in einem sehen und einen unterstützen. Wie wichtig das ist, habe ich selbst erlebt. In meinem Fall war es die Geschäftsführerin meiner ersten Arbeitsstelle bei den Wohlfahrtseinrichtungen. Damals hieß es offiziell noch nicht Mentoring.

Die familiäre Unterstützung war für mich ebenfalls sehr wichtig. Mein Mann hat mir immer Mut gemacht. Meine Familie ist eine wichtige Säule in meinem Leben, die mich erdet. Ich kenne die Selbstzweifel, die so glaube ich, Frauen mehr haben. Ich kenne das Grübeln: „Kann ich das denn überhaupt?“ Ich selbst konnte diese Zweifel nach außen gut verbergen, aber ich brauchte meine Familie, Freunde und meine Mentorin, die an mich geglaubt haben. Besonders als junge Führungskraft, die viele Erfahrungen erst selbst machen musste, ist es wichtig, auch als Mensch gesehen zu werden und sich auszutauschen. Ich dachte so oft: „Oh Gott, wie löst du jetzt dieses Problem?“ Heute habe ich meine Erfahrungen gemacht und möchte meinen Mentees helfen. Schließlich gibt es Probleme, die tauchen häufiger im Leben auf und nach einiger Zeit weiß man dann, wie man damit umgeht.«

Inspiration vom Dichter Dante: „Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt. Der andere packt sie kräftig an und handelt.“

Was sind Ihre nächsten Ziele?

»Es gibt viele Ziele im Unternehmen. Diese möchte ich weiterhin gut als Geschäftsführerin mit erreichen. Derzeit befinden wir uns im Umbau unserer Einrichtung. Wir betreuen rund 500 Bewohner und Bewohnerinnen und das tägliche Geschäft benötigt viel Aufmerksamkeit.
Persönlich möchte ich etwas ausgeglichener und zwischenmenschlich etwas gelassener werden. Ich bin im zweiten Jahr Geschäftsführerin und merke, dass ich an mich denken muss. Dazu gehört, dass ich auf meine Gesundheit achte.«

Welche große Herausforderung im Leben gibt es?

»Herausforderung ist eigentlich das falsche Wort. Man macht einfach. So war es auch bei meinem Beruf. Ich bin allerdings sehr zielorientiert und strukturiert. Das ist nur wenigen Menschen in die Wiege gelegt worden und hat mir sicherlich viel geholfen. Wichtig ist, dass man die Aufgaben anpackt. Als ich mein Studium mit 40 Jahren begonnen habe, hatte ich schon viele Erfahrungen aus Leitungsfunktionen. Zur Stärkung meines Selbstbewusstseins hat mir immer geholfen, dass ich sagen konnte:

„Was der kann, das kann ich ebenfalls oder sogar noch besser“.

Die Familie war nie eine Herausforderung. Sie haben bereits erfahren, dass mir meine Familie sehr wichtig ist. Mein Mann arbeitet beim THW (Technisches Hilfswerk) und ich bin ehrenamtlich beim THW engagiert, habe die Landesjugend dort als Geschäftsführung mit aufgebaut. Das schweißt uns zusammen. Mein Sohn ist ein wunderbarer junger Mann und ich bin sehr stolz auf ihn. Meine Familie war und ist stets mein Anker.«

Sehen Sie sich als Vorbild für andere Frauen?

»Ich möchte keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen machen. Ich sehe mich als Vorbild für alle jungen Menschen. Frauen und Männer haben teilweise dieselben Probleme. Sie fragen sich: „Traue ich mir das zu, weiter zu gehen, traue ich mir das zu, Führung zu übernehmen?
Ich denke, das geht Männern teilweise genauso – die reden nur weniger darüber.
Ein Unterschied ist allerdings die Wahrnehmung von außen: Als Frau wird man bewundert, wenn man eine Führungsaufgabe hat, als Mann ist das eher normal. Es muss selbstverständlich werden, dass Frauen genauso Führung übernehmen wie Männer.«

„Man muss an sich selbst glauben. Man darf Schwäche zeigen. Ein gutes Team macht aus, dass seine Leitung auch Teammitglied ist.“

Was verbinden sie mit dem Begriff „Tapetenwechsel“?

»Damit verbinde ich in der Führungsrolle, dass Menschen und Probleme aus zwei Perspektiven zu betrachten sind. Probleme sind Probleme und Menschen sind Menschen. Jeder darf seine eigene Sichtweise haben. Man muss sich immer in die Person hineinversetzen, die das Problem hat und deren Perspektive einnehmen. Mit Tapetenwechsel verbinde ich meine Tätigkeit im THW. Wenn ich da unterwegs bin, ist es völlig egal, ob ich Führungskraft bin. Hier zählt der Mensch und nicht die berufliche Rolle. Dieser Ausgleich ist für mich enorm wichtig.«

Was verbinden Sie mit dem Begriff „Einzigartigkeit“?

»Den Menschen immer gleich in unendlichen Variationen annehmen.«

Was ist Ihr „Lieblingsplatz“?

»Das ist natürlich da, wo meine Familie und meine Freunde sind und wo ich mich wohl fühle. Das kann auch der Arbeitsplatz sein, besonders nach einem guten Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen, Kunden oder Geschäftspartnern.«

Steckbrief

Name:
Annett Mülling

Jahrgang:
1969

Anzahl Kinder:
1 Kind, 28 Jahre alt

Hobbies:
Reisen, Lesen, Hund

Ehrenamtliche Tätigkeiten:
Stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Technisches Hilfswerk Stralsund, Mentorin im Programm Aufstieg in Unternehmen – Mentoring für Frauen in der Wirtschaft in MV“

Branche / Unternehmen:
Sozialwesen; Wohlfahrtseinrichtungen der Hansestadt Stralsund gGmbH

Position:
Geschäftsführerin

Schwerpunkte der aktuellen Tätigkeit:
Geschäftsführung

Wie viele Mitarbeiter/innen sind Ihnen unterstellt?
ca. 350